Irgendwo weiter hinten im Programm der 44. Leverkusener Jazztage, die merkwürdigerweise gerne mit Popstars wie Philipp Poisel oder Jan Delay Publikum ziehen, taucht der Name eines Mannes auf, der alle großen Jahrzehnte des Jazz selbst miterlebt hat: Der Pianist Abdullah Ibrahim, früher bekannt als Dollar Brand, wurde 1934 geboren, und Solo-Konzerte von ihm sind seltene Ereignisse, die man keinesfalls verpassen sollte. Bevor er tatsächlich noch einmal auf eine kleine USA-Tournee mit seinem Trio aufbricht, lud er im Erholungshaus zu einer gemeinsamen Meditation am Flügel.
Die Intensität seines Spiels, das auf jegliche Effekte oder ausgestellte Virtuosität verzichtet, vermittelt sich nur, wenn man sich als Zuhörer in einen Zustand der inneren Ruhe und Achtsamkeit versetzt und den Wegen der Töne aus dem unverstärkten Flügel folgt. Abdullah Ibrahim kommt gestützt an den Arm einer Frau auf die Bühne, seine Schritte sind unsicher geworden, seine Statur zerbrechlich. Haben seine Finger einmal die Tastatur gefunden, ist der 89-Jährige allerdings immer noch imstande, eine Welt zu kreieren, eine Musik, die existenzielle Kraft hat.
Eine Solo-Klavier-Aufnahme von ihm aus dem Jahr 2019 heißt „Dream Time“ („Traumzeit“). Der Begriff stellt eine Annäherung an den zentralen Begriff aus dem Mythos der Aborigines dar, mit dem sie eine universelle, raum- und zeitlose Welt beschreiben, aus der alles hervorgeht, auch unsere Gegenwart. Abdullah Ibrahim spielt auch in Leverkusen nach Art der Traumzeit-Aufnahme. Er verwebt kurze Stücke zu einem langen, pausenlosen Strom. Manchmal stockt dieser Strom, scheint zu kreisen, der Pianist neue Energie zu schöpfen, neuen Anlauf zu nehmen für den freien Fluss oder sanftes Mäandern.
Immer wieder kehrt er zu seiner Komposition „Blue Bolero“ zurück, befragt sie wieder neu. Sie ist wie eine Landmarke in der immer unübersichtlicher werdenden Welt oder ein wiederkehrendes Ereignis in unseren immer komplexer werdenden Leben, das an die Kraft der Traditionen und der Gemeinschaft erinnert. So kann man dieses Konzert als eine Metapher lesen für die Kreise, die wir auf unserem kleinen blauen Planeten um die Sonne ziehen.